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KLARAmusik

Kopf oder Zah(l)n. Über das Gesundheitswesen

„Wir nehmen ihren Kopf.
Im Zweifel auch ihre Zähne, aber die bringen uns nicht genügend Gewinn, bei ihrem schlappen Budget“. 
Künstlergehalt eben. Pfft.

Aber ihr Kopf eignet sich gut für unsere Forschungszwecke.
Wir haben festgestellt, dass bei Ihnen sehr viele Gedanken durch den Kopf rasen, das finden wir ungewöhnlich. Und etwas verdächtig.
Sie sollen nicht denken.
Sondern tun, was wir ihnen sagen.
Nehmen sie doch bitte einfach diese Pillen.
Die sind so harmlos wie Bonbons. 
Nehmen doch jetzt alle.
AntiDEPPressiva“.

Warum verhalten sich dann so viele Leute trotzdem total bescheuert?
Ich glaube, das Zeug hat keine Wirkung.
„Sie sind ja lustig, wir meinen ANTIDEPRESSIVA“.

Ach, so, aber warum sind denn alle so traurig?
Na, ja, es ist doch auch alles traurig.

Die Sonne scheint, das Bankkonto ist voll. Das Auto steht in der Einfahrt, neben dem eigenen Haus, dem Segelboot, dem geliebten Er, Sie oder Es. Dem Steingarten und dem Apfelbaum.
Die Kinder sind kleine blonde, freundliche Wesen. Es ist eine friedliche, heile Welt. Aber irgendwas fehlt.
Die Freude. Die ist irgendwo verloren gegangen.
Ach, sie müssen sich nur ein bisschen zusammenreissen, oder etwas Sport treiben. 
Bitte lächeln.

Immerhin bekommen sie doch jede Behandlung, die sie sich wünschen, manchmal sogar mehr als sie benötigen. 
(Irgendwo gibt es doch auch eine Statistik, dass es bei Ärztestreiks weniger Tote und Behandlungsfehler gibt,…)
Und das System funktioniert doch einwandfrei.
Der Rubel rollt und die Hüften und Knie auch. Auf Zahnschienen und IGEL Leistungen.
Und trotzdem beisst sich das Gesundheitswesen die Zähne an uns aus. Und es ist irgendwie krank.
Was fehlt ihm denn nun?

Geld?

Nicht unbedingt.

Personal?

Mitunter schon, vor allem gut bezahltes.

Empathie? Häufig.

Aber auch Zeit. 

Zeit zuzuhören.

Zuzuhören?

Ja, sie haben aber doch auch einen Eid geschworen.

Und vor ihnen sitzt ein Mensch.
Der seinen Körper kennt, er ist ja auch den ganzen Tag, sogar lebenslänglich, mit ihm zusammen. Da lernt man sich kennen, das können sie mir glauben.

Warum glauben sie ihm dann nicht?

Sie denken, ich beschwindel sie.

Bei mir dreht sich schon alles.

Aber es tut auch weh.

Es geht nicht weg.

Nicht im Sitzen, Stehen oder Liegen, nicht im Handstand, nicht bei Stress oder in Hypnose.
Es ist immer da.

Das Gesundheitswesen rätselt, operiert, schickt Expertenteams los, analysiert, vergibt exotische Namen. Aber gefunden, gefunden wird nichts.

Sie sind gesund.

Äh, nein, ich fühle mich krank.

Ah, okay, also, wir sind jetzt sicher, es ist doch ihr Kopf.

(Der wird durchleuchtet, gescannt, vermessen, getestet.
Keine Auffälligkeiten, bis auf ein Flausen im Kopf und ein paar Noten, aber die sind von früher als es das Musikerdasein noch gab).

Das Gesundheitswesen runzelt die Stirn. Ihm fällt dazu echt nichts mehr ein. 
Es kramt in seiner Schreibtischschublade. Nehmen sie doch mal diese Tropfen.
Die vergeben wir nur in ganz seltenen Fällen, weil das sehr viel bürokratischen Aufwand für uns bedeutet, die sind auf natürlicher Basis und bringen keinen wirklichen Gewinn. Ausser vielleicht Erkenntnisgewinn.

Also nehme ich jetzt an einem Experiment teil.
Das Resultat bisher: Wenn ich schlafe, schlafe ich.
Wenn ich wach bin, schreibe ich.
Und der Rest ist mir so herrlich egal. 
Ach, könnte ich doch ein Giesskännchen dieser Tropfen über euch ausschütten, es würde ein tiefer Frieden über der Welt erwachsen. Mit einem Übermass an Gelassenheit.
Einer Gesellschaft, die grinsend auf der Wiese sitzt.
Also bitte, gebt endlich das Hanf frei!

Achtung, dieser Text trägt einen Hauch von Satire.
Er könnte sie anwehen. Oder auf sie wirken.
Lassen sie es zu. Und denken sie kurz nach, wie es gemeint sein könnte. Dann werden sie feststellen, dass keine Depressiven verunglimpft werden. Im Gegenteil.
Das ist ist eine sehr ernstzunehmende Erkrankung.

Fragen sie nach, verurteilen sie niemanden.

Wir können miteinander reden.

Sollte ich nicht erreichbar sein.

Gehen sie einfach einen Kaffee trinken oder plaudern sie mit ihrem Nachbarn von gegenüber.

Und noch eine letzte Anmerkung: 

Ich habe sehr nette Ärzte. 

Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht kennen und auf die wir keinen Einfluss nehmen können. Auch wenn wir uns auf den Kopf stellen.
Wir haben nichts unter Kontrolle, auch wenn wir das die ganze Zeit geglaubt haben.

Es ist wie es ist.

Machen wir einfach das Beste draus.